römische Rhetorik

römische Rhetorik
römische Rhetorik
 
In Rom wie in Griechenland musste eine sprachliche Darlegung, wollte sie Geltung und Beachtung beanspruchen, rhetorisch durchgeformt sein. In der Entwicklung löste in Rom die wohlgesetzte Prosarede die ältere Form der Rede vor der Öffentlichkeit bei religiösen Anlässen in der Form eines »Carmen«, eines rituellen Gebetes mit festgefügtem Wortlaut, ab. Das lateinische Wort für Redner »Orator« bedeutete ursprünglich den autorisierten Sprecher einer politischen Gemeinde, den Gesandten, der seine Aufgabe nach religiösen Bräuchen wahrnahm. Neben der Würde von Sprecher und Gesagtem gab es dabei den religiösen Konsens zwischen dem Sprecher und seiner Öffentlichkeit; er wurde im Verlauf der Zeit von dem Konsens in der moralischen Bewertung abgelöst. So ist der Orator nach der Formulierung des älteren Cato, die uns Quintilian im 10. Buch seines Lehrbuchs für den Redner überliefert, »ein Ehrenmann, der fähig ist, eine Rede zu halten«. Die moralische Vertrauenswürdigkeit hält Quintilian also noch am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. für eine GrundeigenTacitus ist in seinem um 100 n. Chr. verfassten Dialog über die Redner die Erziehung des Redners nach altrömischen Grundsätzen ein wichtiges Anliegen. Ein anderes Wort Catos zur Redekunst »Hab die Sache fest im Griff, dann folgen die Worte!« verrät seine Frontstellung gegen die griechische Rhetorik; sie hatte zu Catos Zeit in fast 300 Jahren eine bis ins Detail reich entfaltete und systematische Theorie entwickelt. Gewiss wurde seit Platons Dialog »Gorgias« der Frage nach dem Verhältnis von Rhetorik und Gerechtigkeit weiterhin nachgegangen, doch hatte sich das Herausarbeiten der rednerischen Kunstgriffe zur Seelenführung in den Vordergrund gedrängt.
 
In Rom wurden trotz Widerstandes die Lehren rhetorischer Technik im 1. Jahrhundert v. Chr. ins Lateinische übertragen, so dann auch durch Cicero. Allerdings verlangt Cicero vom Redner eine umfassende, auch philosophische Bildung, eine Forderung, die in seinem Dialog »De oratore« (»Über den Redner«) Crassus vertritt. Cicero bedauerte die mit Sokrates aufgekommene Trennung von Philosophie und Rhetorik und war bestrebt, die beiden Formen geistiger Aktivität in seinem Leben und in seiner rednerischen Wirksamkeit fruchtbar zu verbinden. Er war auch der Dichtung sehr zugetan, sorgte für die Veröffentlichung von des Lukrez Gedicht »Über die Natur der Dinge«, verfasste selbst Gedichte und betonte in seiner Rede für den Dichter Archias die große Bedeutung literarischer Bildung, die auch eine Seite römischer Humanitas war. Ciceros zahlreiche Reden vor Gericht, vor der Volksversammlung und vor dem Senat, nicht weniger seine Schriften legen davon Zeugnis ab. Ciceronische Reden wurden Muster für die Ausbildung der Redner. Darüber hinaus setzte er mit seinem Stil der wohl ausgewogenen Sätze und Perioden, der reichen, aber nicht üppigen Wahl der Worte und der dem jeweiligen Inhalt fein angepassten Stilhöhe allgemeine literarische Normen.
 
Andere rhetorische Stile, wie etwa der des Philosophen Seneca, der kurze, pointenreiche Sätze liebte, hatten es schwer, sich gegenüber Ciceros Geltung zu behaupten. Der Redelehrer Quintilian sah ihn als maßgebend an, und er ist in seinem ausführlichen Lehrbuch Ciceros Forderung nach umfassender, auch literarischer Bildung mit detaillierten Darstellungen nachgekommen. Der ehemalige Redelehrer Lactantius, der zur Zeit Konstantins christliche Schriften verfasste, nahm ihn zum Vorbild und gilt als Cicero christianus. Spätere Renaissancen der römischen Literatur brachten immer eine Rückbesinnung auf Ciceros Stil mit sich. Dieser Stil hat somit den Verfall der politischen Beredsamkeit in der Kaiserzeit überlebt, den Tacitus in seinem Dialog über die Redner bedauert. Es hat sich nämlich durch die Rhetorik in der im Allgemeinen zum Vorlesen oder halblauten Lesen bestimmten Prosaliteratur ein die Antike überdauernder Konsens zwischen dem um seinen Stil bemühten Autor und seinem Publikum gebildet, den man am besten mit einem Begriff der antiken Redetheorie bestimmt. Es handelt sich um das in der Dreiecksbeziehung zwischen Autor, Hörer/Leser und Sache im positiven Falle waltende moralisch-ästhetische Prinzip, das die Griechen mit »Prepon«, die Römer mit »Aptum« und »Decens« bezeichneten, um das Angemessene.
 
Prof. Dr. Hans Armin Gärtner/Dr. Helga Gärtner

Universal-Lexikon. 2012.

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